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DK: Amba vom Großen Meer
So sein wie immer, sagt sich leicht am Prüfungstag - ist aber das Beste
Eigentlich hatte ich bereits genügend Prüfungen in meinem Leben um nicht nervös zu sein, aber kurz vor der
VGP zog ich wie ein Magnet alle Panik- und Nervositätspartikel unseres Sonnensystem an - mir kam es vor, als gäbe es
kein Entrinnen mehr. Bis dahin ist es überhaupt ein Wunder, dass ich noch halbwegs normal atmen konnte.
Dabei war alles gut geplant und noch besser vorbereitet: Urlaub in Nordhessen mit Schweinejagd, Urlaub ist Nebensache,
Hauptsache Schwarzwild. Da wollten wir am Dienstag doch in
Vorbereitung der nahenden VGP eine Schweißdemonstration vom allerfeinsten abreißen und bekamen dann vom gewissenhaftesten
Jagdkumpel aller Zeiten eine 25 Stunden Übernachtfährte präpariert. Was soll ich sagen: es war die reinste Katastrophe.
Meine Hündin interessierte sich für alles, aber nicht für die Fährte. Lass mich ruhig hängen du Hund!
Innerhalb weniger Sekunden war der gesamte Enthusiasmus, alle Hoffnung, Entbehrungen der letzten Monate, einfach alles Geschichte und wie
weggeblasen. Mit so einem Hund darf ich mich nie wieder in Norddeutschland blicken lassen, soviel war klar. Schwarzwild ließ sich
natürlich auch nicht blicken. Die Generalprobe war gescheitert und ich war zerstört.
Da Männer das Chaos allerdings virtuos beherrschen, war klar, dass hier nur noch die Flucht nach vorn helfen konnte. Wir ließen
den Hund also Hund sein und
kümmerten uns um alles andere, übten uns abwechselnd in Ignoranz und Selbstmitleid. Dann der Tag X. Früh morgens noch
raus um dem Hund wenigstens ein paar Promille seiner Leistung
abzuringen. Gut, ich war dann auch warm bis wohlig mürbe, hatte dieses Egalgefühl, das mich so oft im Leben bereits gerettet
hatte und hätte nun auch saure Milch ohne eine Miene zu verziehen
runtergießen können. Am Treffpunkt dann die Gewissheit, dass die Prüfung nicht wegen außerordentlicher Umstände
ausfällt, sondern dass gleich mit dem ersten Fach begonnen werden soll: S-C-H-W-E-I-S-S Gut, dann haben wir noch etwas vom Samstag,
können Bummeln, Einkaufen oder Vierbeiner ertränken. Nummer drei gefiel mir aus irgendwelchen Gründen besonders gut,
wusste selbst nicht mehr weshalb.
Wir zogen die Nummer zwei, OK und schön, weniger Zeitverlust wäre zwar noch besser, aber so müssen wir wenigstens nicht
lange leiden und uns die tollen Geschichten der anderen anhören. Warum haben wir nur diesen Weg eingeschlagen, hätte es nicht
auch nächstes Jahr getan? Noch ein bisschen Laufen und Gehorsam und dann waren wir irgendwann auch tatsächlich dran. Nummer
eins hat gut gearbeitet. Pahh - von mir aus.
Was jetzt kam, passt eigentlich nicht in das bisherige Schema, aber es muss ja erzählt werden, weil es vermutlich so typisch ist,
dass es einfach jedem passieren könnte. Also, über den Graben und dann: "Dort drüben ist der Anschuss, das Stück
ist vermutlich in diese Richtung abgegangen." Toll - jetzt wird's wirklich ganz und gar und vor allem völlig ernst: In der
Jungjägerausbildung hatte ich an einer VGP teilgenommen und dort war ein Führer, der es nicht schaffte. War aber schon Jahre
her, eine verblasste Erinnerung. Wir schalten um auf SLOW MOTION ... alles ... wird ... gaaanz .
.. ruhig. Ich höre, wie der Wald atmet. Die Zeit scheint fast völlig still zu stehen.
Der Hund wird so 3 Meter vom Anschuss abgelegt, während der Führer das Ritual beginnt. Langsam, gaaaaaanz langsam nähere
ich mich dem Anschuss. Eichenlaub mit einigen Schweißtropfen drauf. OHOOOO, bruchgerecht muss es also schon sein, allerdings
weitere Info's ob männlich oder weiblich oder eine genaue Fluchtrichtung ist dem teutschen Geäst nicht zu entnehmen. Der
Führer beugt sich also mit plattentektonischer Geschwindigkeit zum Boden um diesen näher zu untersuchen. Obwohl ich den Hund
im Rücken habe, höre ich förmlich, wie sich ein Halswirbel nach dem anderen ausrenkt, nur damit die Nase doch noch
näher an diese magische Stelle herankommen kann. "Vergeblich meine Süße" - jetzt musst Du für alles, was du mir
an seelischen Grausamkeiten angetan hast, leiden. Ohhh ja, auch ich kann unbarmherzig sein. Immer weniger interessiert mich also der Hund,
einzig um die Prüfer beginne ich mir Sorgen zu machen - halten sie es aus??? Jetzt setz ich noch einen obendrauf und fange an das
Laub zu bewinden. Mein Hund soll verstehen, dass ich nicht auf ihn angewiesen bin - ich find auch ohne dich niedere Kreatur zu meinem
Stück, bleib doch hier bis du verrottest....
In meinem Anfall von Größenwahn entsinne ich mich dann doch irgendwann eines Besseren, möchte den Prüfern auch zu
verstehen geben, nicht selbst festgefroren zu sein und drehe mich langsam um und ... blicke in ein bis zum Zerreissen gespanntes Gesicht
eines kurzhaarigen Fleischfressers. Wir sind noch nicht ganz fertig mit der Konditionierung. Jetzt noch den Schweißriemen aus dem
Rucksack und die Halsung. Guuuut, ich bin schon selbst ganz gespannt und möchte jetzt auch selbst sehen, was passiert. Alle Richter
stehen noch, keiner ist in die Knie gegangen, Gott sei Dank. Mein Hund ist zu diesem Zeitpunkt gefühlte dreimal so lang wie üblich
und aus diesem Grund schon fast am Anschuss.
Dort angelangt versucht die interessierteste Hundenase der Welt die letzten gut zwei Dutzend Stunden in sich aufzusaugen und zu
verstehen, was hier wohl passierte - es lässt sie nicht mehr los - sie saugt sich regelrecht fest. Das alles dauert
vielleicht zwei Minuten - jegliches Zeitgefühl habe ich ohnehin verloren. Dann, ich glaube es selbst kaum, setzt sich Amba in
Bewegung, tiefe Nase, jede Faser bis aufs äußerste gespannt, Konzentration pur. Keiner sagt etwas, weil der Hund an der
Witterung klebt und die Situation keinen Kommentar erlaubt oder erfordert. Es geht voran - ruhig. Jetzt kommen wir aus dem Nadelholz
heraus - das war sicher schwer, denn Nadelholz ist der Inbegriff der Trockenheit. Im lichten
Birkenholz mit Farnkraut ist gut vorankommen. Ich habe sowieso fast alle Rezeptoren abgeschaltet, konzentriere mich nur auf das, was da
vor mir am langen Riemen passiert.
Und das ist überraschend genial. Dann sehe ich einen Graben auf uns zukommen und denke mir nur "bitte nicht, jetzt
wird's ernst, sind wir überhaupt noch auf der Spur???" Amba geht noch ein Stück die Böschung runter und erkundet
kurz - mir dreht sich das bisschen Magen, was ich noch habe, ein weiteres Mal um - kommt dann aber wieder hoch und dreht ziemlich
rechtwinklig von der bisherigen Richtung
ab. Nach ein paar Metern bemerke ich geknicktes Calamagrostis und Springkraut - hier war vor kurzem jemand... Hoffnung keimt auf, wir
sind bestimmt richtig, denke ich mir. Dann
nach gut 80 Metern wieder etwas bögeln so 3-5 Meter, dann Richtungswechsel. Hund bleibt an einer Stelle stehen und bewindet diese
ausführlich - ich heb die Hand und sag so leise wie es geht "Wundbett verwiesen". - "Sehr gut" glaube ich hinter mir zu hören
und könnte vor Anspannung und Freude gleichzeitig schreien. Es geht weiter wieder ins Nadelholz - die Zeit dehnt sich - etwas
älter
und mit Moosinseln. Das ist gut, sehr gut sogar, denk ich mir, denn die halten die Witterung besser. Mein Kurzhaar ist hingegegen besessen,
verstehe ich allmählich. Sie will wissen, was am Ende ist. Wir kommen auf eine Lichtung mit Binsen. "Ist das ein schönes
Plätzchen", geht es mir durch den Sinn.
Wir arbeiten ruhig und konzentriert - einmal sage ich noch "ruhig voran" und dann sehe ich schon
etwas in den Binsen liegen. Amba macht zwar noch mal einen kleinen Bogen, ist dann aber am Stück.
Aus meiner Brustgegend spüre ich ein heftiges Poltern und fühle gleichzeitig, wie mir fast die Tränen in die Augen
schießen. Während mein Hund sein Stück interessiert bewindet, genieße ich gerade meinen Triumphzug durch Rom. Nach
kurzer Zeit ist mein Hund dann bei mir, was von einem der Richter mit dem Spruch "die interessiert sich nur für ihren Führer"
kommentiert wird. Bruch für meinen bereits jetzt durch mich zum Nachsuchensieger ernannten Hund und zurück zur Korona.
Die übrigen noch kommenden Disziplinen waren mir zu diesem Zeitpunkt wirklich vollständig egal. Wir hatten sowas von einem
Knoten durchgehauen, einfach unglaublich.